4. Themaverfehlung
Warum deine Stimme zählt – auch wenn du in der Schule gelernt hast, dass du falsch bist. Eine Einladung zum freien Schreiben ohne Bewertung
Eine kleine Geschichte über Schultrauma, Beurteilung – und warum ich trotzdem schreibe
Dieser Text beginnt in einem Klassenzimmer.
Es geht um Deutschunterricht, um Aufsätze, um rote Tinte.
Um Noten, die wehtun, obwohl sie sachlich gemeint sind.
Es geht um die Frage, wie Schreiben klingt, wenn man versucht, alles richtig zu machen – und darum, wie es klingt, wenn man einfach wieder anfängt. Für sich. Ohne Bewertung.
Ich wollte einfach nur schreiben
Ich weiß nicht mehr, was das Thema war.
Aber ich weiß noch genau, wie es sich angefühlt hat.
Ich saß da, völlig versunken, der Kopf heiß vor Begeisterung. Ich hatte eine Idee, ein Bild, einen Ton. Ich war drin. Schreiben war kein Müssen, es war ein Wollen.
Es war ein Raum, der nur mir gehörte. Endlich mal. Und am Ende war ich beseelt vor Glück.
Dann kam die Rückgabe.
Rote Tinte. Ein Satz.
"Themaverfehlung."
Das war ein Faustschlag ins Herz. Und ein Schulterzucken dazu.
Ich hatte gehofft, dass meine Begeisterung reicht. Dass jemand sieht: Da denkt jemand wirklich. Aber offenbar reichte das nicht.
Nicht in einem System, das Antworten will, keine Fragen. Ordnung, keine Abweichung. Funktion, kein Gefühl.
So habe ich allmählich verstanden:
Was ich schreibe und wie ich schreibe genügt nicht. Nicht der Schule. Nicht den Lehrern. Nicht der Gesellschaft. Und irgendwann auch nicht mehr mir selbst.
Das Urteil war persönlich
Es hieß: "Lerne mit Kritik umzugehen."
Aber es ging nie um Kritik.
Es ging um Macht. Und um Angst.
Der Lehrer hatte recht. Ich war falsch. Punkt.
Nicht nur eine Note, ein Kommentar, ein Blick.
Sondern Schock. Unverständnis. Scham.
Und Angst vor dem Nachhausekommen. Vor dem Vater. Vor der Reaktion.
Da ging’s nicht um Stolz oder Enttäuschung. Da ging’s ums Überleben.
Eine Note konnte alles kippen.
Langsam wuchs in mir die Überzeugung:
Mit mir stimmt wohl etwas nicht.
Meine Gedanken waren zu viel. Zu seltsam. Zu anders. Und offensichtlich unerwünscht.
Heute weiß ich:
Sie konnten mich gar nicht verstehen. Ich war auf einer anderen Ebene unterwegs. Nicht besser – aber anders. Tief, verspielt, querdenkend.
Damals habe ich es nicht verstanden. Heute erkenne ich es im Schreiben wieder. Hier. Im Blog. Wo ich nicht funktionieren muss. Wo ich erzählen darf, wie es für mich Sinn ergibt.
Perspektive ist keine Wahrheit
In der Schule geht es nicht darum, was du siehst. Sondern, ob du das siehst, was erwartet wird.
Interpretationen waren nie frei. Sie waren Rätselspiele mit einer einzigen Lösung. Alles andere: Fehler.
Ich dachte, man darf denken. Texte sind Räume. Offen. Aber offenbar gibt es nur einen Korridor – den durch den Lehrplan.
Also lernt man zu liefern. Zu raten. Zu performen.
Das ist keine Bildung. Das ist Konditionierung.
Und es wirkt. Es macht dich still. Zweifelnd. Angepasst. Du fragst dich, ob du je richtig gedacht hast. Ob deine Wahrnehmung trauen darf. Ob dein Gefühl erlaubt ist.
Heute weiß ich: "Richtig" bedeutete oft nur "passend" – zur Erwartung, zur Norm, zur Meinung der Autorität.
Was ist "Themaverfehlung" anderes als ein Urteil:
So darf man das nicht sehen. Aber wer bestimmt das eigentlich?
Ich habe das Spiel nicht mehr mitgespielt
Als meine Kinder zur Schule kamen, wusste ich: Ich kann sie nicht vor dem System retten. Aber ich kann versuchen, sie nicht zu verlieren.
Mein Ziel war nicht Schutz. Mein Ziel war Rückhalt.
Dass sie nicht denken: Ich bin falsch.
Denn ich wusste, wie das läuft: Gute Noten bei Lehrer A, katastrophale bei Lehrer B – für denselben Stoff. Dasselbe Kind. Nur die Beziehung war anders.
Ein Lehrer ist auch nur ein Mensch. Und genau deshalb ist das keine objektive Leistungsmessung. Es ist Beziehungspolitik.
Und dann ist da noch die Zeit. Prüfungen im 45-Minuten-Takt. Gleiche Aufgaben. Gleiche Erwartungen. Aber Menschen sind nicht gleich.
Es gibt Denker, Träumer, Tüftler, Grübler. Schnelle, langsame, tiefe, weite.
Aber das System will Vergleichbarkeit.
Messbarkeit. Effizienz. Eine Box.
Was bleibt da vom echten Verstehen?
Ich habe versucht, dazwischenzustehen. Nicht, um alles abzufangen. Aber um zu sagen: Du bist nicht falsch. Du bist einfach anders.
Wenn Lernen bedeutet, herauszufinden, was andere hören wollen – und es dann effizient zurückzugeben – dann ist das kein Lernen.
Das ist Abrichtung.
Ich wollte nicht, dass sie das für Wahrheit halten.
Mein Storytelling beginnt dort, wo Bewertung aufhört
Ich schreibe wieder. Aber nicht, um zu gefallen. Nicht, weil ich muss. Und nicht nach Plan.
Ich schreibe, weil es mich zurückholt.
Weil es Dinge durchlässt, die in der Schule keinen Platz hatten. Kein Thema, keine Note, keine Spalte im Erwartungshorizont.
Vielleicht ist das mein Storytelling: Kein Handwerk. Kein Konzept. Sondern ein Raum.
Ein Schreiben ohne Maßband. Ohne Formvorgabe. Ohne Richtung. Und gerade deshalb mit Tiefe.
Ich kenne die Regeln: Dramaturgie. Spannung. Heldenreise.
Aber sobald ich versuche, sie zu erfüllen, verliere ich die Lust. Weil sie mich an damals erinnern. An rote Tinte. An "Themaverfehlung."
Ich schreibe, um mir zurückzuholen, was mir genommen wurde.
Ich schreibe, damit Denken wieder atmen darf.
Damit das, was anders ist, nicht mehr falsch ist.
Und vielleicht beginnt echtes Storytelling genau da:
Wo man aufhört, sich zu fragen, ob es jemand versteht.
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Eine PDF für alle, die zu viel gedacht, zu tief gefühlt
und zu oft gehört haben:
„So darf man das nicht schreiben.“
🔻 Wenn du beim Wort „Aufsatz“ immer noch innerlich zusammenzuckst...
Und trotzdem schreiben willst. Oder gerade deshalb.
Dann habe ich etwas für dich:
👉 Themaverfehlung – eine PDF über das Zurückerobern der eigenen Stimme.
(Coming soon – trag dich ein, um sie als Erster zu bekommen.)
💋 Ein paar Seiten über Schultrauma, Bewertung als Machtinstrument,
und warum genau dein „falscher“ Ton
die Geschichte erzählt, die gefehlt hat.
Fortsetzung Teil 5